Alternativer Wohnungsmarkt in Leipzig

27.08.2013

Bildinhalt: Alternativer Wohnungsmarkt in Leipzig | Im „GS-10 Hausprojekt” befindet sich auch eine Kneipe, die das Projekt finanziert /Foto: L Grajewski
Im „GS-10 Hausprojekt” befindet sich auch eine Kneipe, die das Projekt finanziert /Foto: L Grajewski
 

In Leipzig stehen 40.000 Wohnungen leer. Am meisten profitieren Eigentümer, die ihre Wohnungen umsonst nutzen lassen

Leipzig ist in den letzten Jahren in aller Munde. Die Medien haben den Slogan vom „neuen Berlin“ erschaffen und bringen einen Artikel nach dem anderen darüber, wie hip und kreativ Leipzig sei. Die Atmosphäre in der Stadt hat tatsächlich viel gemeinsam mit der Berliner Lässigkeit. Die Bewohner eröffnen massenhaft neue Cafés, Galerien, Buchhandlungen und Restaurants, die bis in die späten Nachtstunden voll mit Gästen sind. Das, was Leipzig von der Hauptstadt unterscheidet, sind die Gebäude.

Leipzig wurde während des Zweiten Weltkriegs nur wenig beschädigt. In der Stadt blieb die traditionelle Anordnung der Straßen und Häuser aus dem 19. Jahrhundert erhalten. Häufig stehen Gebäude, früher wunderschöne Bauten, heute leer und verlassen. Das ist das Ergebnis eines Bevölkerungsrückgangs, der in den 90er Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung stattfand. Die Nachfrage nach Wohnungen sank, und die Eigentümer hatten keine Einkünfte mehr, mit denen sie nötige Reparaturarbeiten an ihren Häusern durchführen konnten. Die Krise auf dem Immobilienmarkt zwang beide Seiten – Mieter und Vermieter – dazu, die seit Jahrhunderten gültigen Regeln zu überdenken.

„Im Jahr 2004 begann der Verein HausHalten Gespräche mit Eigentümern leerstehender Gebäude zu führen. Der Verein überzeugte die Hauseigentümer davon, dass sie, wenn sie ihre Wohnungen kostenlos zur Nutzung zur Verfügung stellten, dennoch davon profitieren würden“, erklärt mir Johanna die Spezifik des alternativen Wohnungsmarkts in Leipzig. Sie kümmert sich zusammen mit einem Bewohnerkollektiv um ein dreistöckiges Haus in einem der Leipziger Stadtviertel.

Denn Gebäude verfallen bei Leerstand schneller – und nun erhalten sie Bewohner, die nur die grundlegenden Nebenkosten wie Strom, Gas oder Wasser zahlen. So oder so mussten die neuen Nutzer auch die verlassenen Einheiten wieder herrichten. Auf beiden Seiten fanden sich Freiwillige, die diese neue Methode ausprobieren wollten, und es entstanden die „Wächterhäuser“.

„Eine Alternative war nötig in einer Stadt mit so vielen leerstehenden Wohnungen“, fasst Johanna die Situation zusammen, während sie mich durch die übrigen Stockwerke des vom Kollektiv „GS-10 Hausprojekt” getauften Gebäudes führt. „Seit dieser Zeit entstanden in Leipzig viele mehr oder minder formalisierte Gruppen, die versuchen, Gebäude wiederzubeleben. Allein an der Georg-Schwarz-Straße, an der wir in der Nummer 10 wohnen, arbeiten bereits mehrere Kollektive. Sie besiedeln günstig angebotene Gebäude oder kaufen sie für einen Spottpreis von den verzweifelten Eigentümern.“

Welche Folgen hat diese Situation, die scheinbar keinen ökonomischen Regeln folgt? „Auf diese beschriebene Weise holt man eine Masse kreativer Leute in die Gebäude. Künstler eröffnen in ihnen ihre Galerien, die unternehmerisch orientierten eröffnen Kneipen, Cafés und Läden. Dank dieser Entwicklung kehrt das Leben in die Straßen zurück, und das zieht Menschen an“, sagt Johanna. Um ihre Straße machten die Leipziger noch vor einigen Jahren einen großen Bogen. Aber jetzt ziehen Kulturveranstaltungen, die gute Küche und der ungezwungene Lebensstil junge Leute, aber auch die Mittelklasse an.

Als Folge werden die Gebäude in der wiederbelebten Straße wieder attraktiv. „Das freut zwar die Eigentümer, aber uns, die Bewohner, die diese Veränderung herbeigeführt haben, freut das nicht mehr.“ Johanna betont, dass ihr Gebäude durch Kauf dem normalen Immobilienmarkt dauerhaft entzogen wurde. Das Kollektiv sicherte sich die Unabhängigkeit, ohne Rücksicht auf die zukünftige Popularität der Straße. Die scheint unausweichlich, wenn man die Gäste ansieht, die am späten Abend in das von Johanna geführte Café kommen.

Text von Lukas Grajewski

Der Text ist eine Übersetzung aus dem Polnischen. Das dazugehörige Original des Bloggers Lukas Grajewski finden Sie hier .


Nachricht vom 27.08.2013
Autor: