Chillen, bis die Berliner kommen

20.08.2013

Bildinhalt: Chillen, bis die Berliner kommen |  Rocko Schamoni am frühen Freitagabend im Leutzscher Holz. / Foto: André Kempner
Rocko Schamoni am frühen Freitagabend im Leutzscher Holz. / Foto: André Kempner
 

Rocko Schamoni und der Golden Pudel Club lassen es in der Villa Hasenholz gemütlich angehen - und feiern bis in die Nacht

Idylle pur am Freitag kurz vor 17 Uhr um die Villa Hasenholz: Die Sonne scheint auf das Gründerzeit-Anwesen im Leutzscher Holz. Die Veranstalter bauen ein paar Meter neben der Freitreppe die Kasse auf. Lesung mit Rocko Schamoni, mehrere Kurzfilme, Musik mit Knarf Rellöm, danach DJs - die Künstler aus dem legendären Hamburger "Golden Pudel Club" haben das ganze Programm im Gepäck. So ein langer Abend muss zeitig beginnen.

Von Uwe Schimunek

Die Villa ist zunächst verschlossen und im Garten passiert: nix. Dabei geben die Hauptfiguren des Abends den Müßiggang bald auf. Rocko Schamoni (in schnittiger Turnhose) und Knarf Rellöm (adrett in Adidas) steigen aus ihren Liegestühlen und - spielen Federball. Nicht um Punkte, doch nach Haltungsnoten geht das Match knapp an Schamoni. Das Publikum sitzt derweil auf Bänken, trinkt Ökobier, futtert gegrillte Gemüsespieße oder Bratwürste, liest in Zeitungen und Zeitschriften.

Gegen halb neun dämmert es, die Mücken kommen. Am Tresen gibt's tatsächlich Insektenspray - geborgt für lau. Super. Aber da war doch noch was Ach ja, die Lesung, die Filme, die Musik! Rocko Schamoni sitzt inzwischen am Tisch und trinkt sich warm. Knarf Rellöm schaufelt Grillware in den Mund. Eine junge Dame wird ungeduldig, erfindet das Wort "zwangs-chillen". Ein erster kreativer Höhepunkt des Abends.
Dabei wird es nicht bleiben, denn nun beginnt die Kunst. Nach Rocko Schamoni kann man die Uhr stellen, muss nur auf die Zeitzone achten: Auf die Minute vier (!) Stunden nach dem ausgeschriebenen Veranstaltungsbeginn begrüßt er in der prunkvollen Colonade der Villa seine Fans. Kurz debattiert er mit dem Publikum darüber, wer welchen Text schon kennt. Im Ergebnis liest er erst mal aus seinem aktuellen Buch.
In "Tag der geschlossenen Tür" trottet ein Nichtsnutz namens Michael Sonntag durch den Irrsinn der modernen Welt. Das ist manchmal tragisch, manchmal albern, immer komisch. Bei der Lesung vertraut Schamoni auf den Humor. Zurecht. Die Szenen sind zum Brüllen schräg. Dabei geht die philosophische Ebene der Texte ein bisschen unter, aber dafür gibt es ja das Buch.

Wie die literarische Figur schwankt auch der Autor zwischen Sympath (wenn er beim Lesen das Lachen nicht unterdrücken kann) und Antiheld (wenn er nervige Fliegen mit den Worten "verpisst euch, ihr Wichser" vertreibt). In den witzigsten Momenten löst Schamoni sich vom Text und erklärt die Welt. Etwa als er das Wort "Kassette" vorliest, unterbricht und ausführt: "Kassetten waren wie Handys", Schamoni winkt mit einem Smartphone, "nur mit 'nem Plastikband drin. Da passten zwölf Titel drauf. Die Dinger konnte man rumdrehen - nochmal zwölf Titel."
Die Villa Hasenholz gefällt dem Künstler sichtlich. Mehrfach ruft er das Publikum dazu auf, öfter herzukommen, die Betreiber "zu supporten". Zugleich solle der Leipziger seine Stadt genießen, solange es noch ginge. Ein paar Jahre blieben noch, "dann kommen die ganzen Wichser aus Hamburg und Berlin zu euch." Schamoni wäre nicht Schamoni, wenn er keine Lösung für diese Art regionaler Gentrifizierung hätte: "Dann gehen wir alle nach Halle."

Doch so weit ist es noch nicht. Nach der Lesung zeigt die Pudel-Crew zwei Filme aus dem "Rollo Aller!"-Universum. Die machen augenscheinlich Spaß - den Mitwirkenden. Dem Publikum auch, wenngleich die zwei Streifen, durch die Schamoni und sein Kumpel Christian Dabeler als knuffelige Loser stolpern, den meisten reichen. Ist schließlich schon spät.
Zur Musik geht's in den großen Saal der Villa. Was für eine Location. Über das Parkett könnten schon die Großeltern vieler der Anwesenden gewirbelt sein. Knarf Rellöm legt auf und singt dazu Melodien. Jetzt geht's nicht mehr um den Text, jetzt wird getanzt. Das machen ein paar Dutzend Nachtschwärmer. Die anderen sitzen wieder im Garten der Villa. Da lässt es sich auch nachts prima chillen - ganz ohne Zwang.

Text von Uwe Schimunek

Leipziger Volkszeitung, vom 19.08.2013


Nachricht vom 20.08.2013
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