"Kunterbunte 19" setzt auf Syndikat

19.10.2012

Bildinhalt: "Kunterbunte 19" setzt auf Syndikat | Einige der Mehrgenerationentruppe, die sich die Kunterbunte 19 herrichtet / Foto: privat
Einige der Mehrgenerationentruppe, die sich die Kunterbunte 19 herrichtet / Foto: privat
 

Eine Sonderform der Kollektivhäuser ist das Mietshäuser-Syndikat, Ende der 1980er-Jahre in Freiburg/Breisgau entstanden. Von heute bis Sonntag hält das Syndikat seine bundesweite Mitgliederversammlung in der Leipziger Baumwollspinnerei ab.

Fünf Mitglieder gibt es hier bereits, erzählt Stefan Kurth, Leipziger Regionalverantwortlicher des Mietshäuser-Syndikats. Die Zolle 1 und 11 in der Zollschuppenstraße, MetaRosa in der Markranstädter Straße, Wohnsinn Ost im Täubchenweg. Und das Neue Soziale Zentrum, dem es aber noch an einem Objekt mangelt.
Das Syndikat, ein Solidarverbund, beruht auf einer nichtkommerziellen Beteiligungsgesellschaft, versteht sich als Antwort auf steigende Mieten. Der Verbund will Immobilien mit den Bewohnern kaufen und sie so vor dem gewinnorientierten Marktzugriff bewahren.

Es wollen noch mehr Leipziger Mitglied im Syndikat werden - zum Beispiel die "Kunterbunte 19", eine Mehrgenerationentruppe aus der Georg-Schwarz-Straße 19. Das Haus, das sie sich vorgeknöpft hat, ist Baujahr 1888. "Eines der ältesten hier weit und breit", sagt Mitinitiator Klaus Schotte. Die alten Ziegel halten noch. Die Fassade des Hauses sieht aber jämmerlich-ruinös aus. Ganz hoch droben ist immerhin schon ein Handwerkerteam dabei, ihm noch vorm Winter ein frisches Dach überzuziehen. Alle kümmern sich mit um die Sanierung - je nachdem was ein jeder kann. Zwölf Mitstreiter zwischen 20 und 56 Lenzen zählen dazu. Zwei Kinder und ein Hund auch. Familien, Singles, Lebensgemeinschaften - allesamt wollen sie in zwei Jahren einziehen. Allesamt sind nicht gerade vermögend - und von einem Schlag: "Wir alle stehen hinter der Idee", sagt Schotte.

Gregor Wetzel (30) ist so einer, der dahinter steht. "Ich wohne momentan in einer WG, suche aber etwas, wo ich langfristig bleiben kann. Mir gefällt, dass du von Anfang an mitbestimmen kannst, wie dein künftiges Quartier aussehen soll. Und dass dich später keiner rausschmeißen oder plötzlich mal die Miete erhöhen kann", erzählt Wetzel - von oben bis unten ziemlich eingestaubt nach einem Feuerzeug fingernd, um dem abendlich einströmenden Dunkel im Haus mit etwas Kerzenlicht zu kontern. Strom gibt es hier noch nicht.

Erst im Frühjahr hatte die künftige Bewohner-Crew das Objekt mit den zwei kleinen Läden im Erdgeschoss bei einer Zwangsversteigerung günstig erworben. "Zuletzt hatte es wohl gut 15 Jahre leer gestanden", winkt Schotte ab. "Jedenfalls haben wir erst mal aus allen Etagen Müll 'rausgeschafft."

Aber wo kommt das Geld her, damit die Träume von den Domizilen, von Gemeinschafts- und Etagenküchen, Gästezimmern und Kammerkonzerten im Kellergewölbe jemals reifen? "Also", holt Klaus Schotte Luft, "wir hoffen, dass wir am Wochenende Syndikat-Mitglied werden. Eine Voraussetzung haben wir erfüllt, nämlich einen Hausverein gegründet." Das Syndikatmodell funktioniert dann so, dass eine GmbH entsteht, die zwei gleichberechtigte Gesellschafter hat: Verein und Syndikat. "Im Gegensatz zu den so genannten Selbstnutzer-Wohnformen, die meist eine Genossenschaft gründen, kann man hier mit null Cent auch einsteigen", hakt Gregor Wetzel ein. "10000 Euro in eine Genossenschaft einzahlen - das könnte ich mir gar nicht leisten."

Die Männer loben den Netzwerkgedanken hinter dem Syndikat, das derzeit 63 Hausprojekte und 25 derartige Initiativen in ganz Deutschland unterhält. "Da ist viel an Erfahrung da, die wir nutzen können - gerade was die Finanzierung, die Buchhaltung oder rechtliche Fragen betrifft", sagt Schotte.
"Gruppen, die selbstorganisiert - und untereinander gleichberechtigt - sozialgebunden Wohn- und Arbeitsraum schaffen oder sichern wollen, beraten wir in unserem Netzwerk gern", betont Syndikat-Regionalzuständiger Stefan Kurth und stellt auch noch klar: "Die Schaffung von privatem Eigentum unterstützen wir nicht."

Gleichwohl kann jedes neue Syndikatmitglied vom Solidargedanken des Verbundes profitieren: Bestehende Mitgliedsprojekte zahlen quasi einen Soli-Beitrag, um so den Neuen quasi kollektiv auf die Beine zu helfen - etwa mit der nötigen GmbH-Einlage.

Nichtsdestotrotz braucht es in der Anschubphase bei den Lindenauern noch rund 100000 Euro, um Sanierung, Innen- und Ausbau voranzubringen. Schotte und Wetzel feixen: Ersterer von Haus aus Stadtplaner, letzterer Insolvenz- und Schuldenberater - scheinen für derlei Fragen prädestiniert. Und erklären dann schlicht: "Wir haben einfach allen von unserer Idee erzählt". Ach, und schon sei der Rubel gerollt? "Erstens muss man sagen, dass die Stadt Leipzig solchen Projekten offen gegenübersteht, froh ist, wenn alte Baustruktur erhalten wird. Daher hat sie eine erkleckliche Fördersumme beigesteuert. In Dresden etwa ist das nicht so", weiß Schotte und deutet auf weitere Quellen - Fördertöpfe für Mehrgenerationenprojekte, Objektförderung für eine nachhaltige Heizung.

"Zudem haben wir Eltern, Bekannte, Freunde überzeugt, uns Direktkredite als Wertanlage zu geben. So richtig per Vertrag und mit Zinsen. Der Rest ist Eigenleistung. Wir mussten also für Phase eins erst mal keinen Kredit aufnehmen", strahlt Wetzel. Und später würden alle ja auch stinknormal Miete zahlen, von der sich Instandhaltungen und bei Bedarf auch ein fälliger Direktkredit bedienen ließen. "Kalkuliert haben wir ,lauwarm' so 4,20 Euro pro Quadratmeter", sagt Schotte. "Auf alle Fälle sollen unsere Mieten auch ALG-II-sicher sein!"

Text von Angelika Raulien.

Leipziger Volkszeitung, vom 19.10.2012

Weitere Infos unter:

www.syndikat.org


Nachricht vom 19.10.2012
Autor: