Was nach der Industrie kommt: "Fundbüro" rückt verlassene Orte in den Blickpunkt

21.05.2012

Bildinhalt: Was nach der Industrie kommt:   "Fundbüro" rückt verlassene Orte in den Blickpunkt | Die verlassenen Leipziger Industriebauten stehen im Mittelpunkt. Foto: André Kempner
Die verlassenen Leipziger Industriebauten stehen im Mittelpunkt. Foto: André Kempner
 

Es gibt sie nicht mehr, die alten Industriegebäude - nicht mehr so, wie sie einst waren: Manche von ihnen sind verlassen, einige mit anderem Leben gefüllt. Doch das Vergangene verschwindet nicht einfach.
Das verhindern Orte wie das "Fundbüro". "Nach der Industrie - was dann?" fragte der "Salon-Abend", zu dem der Ausstellungs- und Kulturraum in der Georg-Schwarz-Straße 14 geladen hatte.
Lindenau, Plagwitz und Leutzsch waren bedeutende Industriestandorte in Leipzig, Böhlitz-Ehrenberg die einstmals größte Industriegemeinde der DDR. Fabrikhallen prägten die Menschen und prägen sie noch heute: "Sie haben eine starke Anziehungskraft als Ort der Geschichte. Sie laden uns ein, Entdecker zu werden. Auch wenn sie neu renoviert und wieder belebt sind, strahlen diese Gebäude einen historischen Geist aus", sagt Fundbüro-Initiatorin Monica Sheets. Die amerikanische Künstlerin sieht ihr "Fundbüro" als fortlaufendes Projekt: "Ziel ist es ein lebendiges Archiv zusammenzustellen, das die Erfahrungen der Menschen während und nach der DDR sammelt." Keine trockenen Chronologien sollen dabei im Vordergrund stehen, sondern "Gesprächsrunden, bei denen Menschen ihre eigenen Erfahrungen reflektieren können; historische Informationen mit Anekdoten und Erzählungen verknüpft werden".

Einer der ersten, für den das "Fundbüro" an diesem Abend zur Bühne wird, ist Roger Liesaus. Mittlerweile in Taucha zuhause, arbeitete der Ingenieur viele Jahre in Böhlitz-Ehrenberg. Gelernt hat er Werkzeugmacher, damals bei "Schrauben-Schulze". Liesaus erinnert sich an die spannenden Jahre mit dem alten Betriebsleiter, wie dieser mit einer "gekritzelten Zeichnung" kam und "Hier baut mal!" sagte. Fritz Schulze hatte immer neue Ideen. "Manche waren auch Flops - wie etwa der Fahrtrichtungsanzeiger für Fahrräder." Im Gedächtnis ist Liesaus auch noch die Halle voller von Transmissionsriemen getriebener Maschinen. "Da hieß es aufpassen, wenn man sich dort lang bewegte." Später wurde die Firma unter Sohn Klaus Schulze Betriebsteil des VEB Wälzlagerwerkes Böhlitz-Ehrenberg. Anfang der neunziger Jahre erhielt der Junior den Betrieb zurück, doch zwei Jahre später kam die Insolvenz.
Manchmal fährt Liesaus noch am Eingangstor des alten Industriegebäudes vorbei."Alles zugewachsen."
Ingrid Hildebrandt



Der Charme des Verfallenen
Kreativer Gedankenaustausch im Fundbüro

Lindenau
Verfallene Leipziger Bauten waren Anlass für einen Abend im Fundbüro in der Georg-Schwarz-Straße. Die unterschiedlichsten Akteure zeigten, was sie bei diesem Thema bewegt: "Der Charme des Verfallenen" inspirierte Fotograf Tristan Schröder zu besonderen Aufnahmen. "Wenn man in so 'ne leere Riesenhalle kommt und dann scheint das Licht rein, das ist schon faszinierend."
Manchmal kann man auch Unerwartetes entdecken: Einen Saporoshez in einer Kasernenhalle oder einen Karlex-Express in einem Lokschuppen. "Komplett erhalten. Vor sechs Wochen bin ich noch mal hin, da war er weg." Noch vorhanden ist die einstige Druckerei. Das Foto zeigt eine geschwungene Treppe im Eingangsbereich und herunter hängende Tapetenbahnen. Tristan Schröder registriert mit Beobachtungsgabe und Sensibilität den Wandel.

Poesie lebt auch in den Geschichten von Volly Tanner auf. Seit den neunziger Jahren lebt der Autor in Lindenau und dokumentiert das damalige und heutige Lebensgefühl. Er thematisierte Gewalt zwischen Jugendgruppen: "Die Leute hatten nichts zu verlieren" oder schrieb "Hier möchte zwar kein Hund begraben sein, aber die Kinder sind so wunderbar laut".
Begraben sein möchte man in Lindenau im Moment nicht - aber leben: "Hier passiert was!"

Von dieser Aufbruchstimmung ist auch Falk Röhner angezogen. Der Mann aus dem einstigen Karl-Marx-Stadt, der schon in Afrika und Nordamerika lebte, zurückkam wegen der "Sehnsucht nach der alten Kultur und den alten Häusern", spürte in Lindenau und Plagwitz amerikanischen Pioniergeist auf. "Noch nie hatte ich eine so starke, ehrliche Solidarität erlebt wie bei diesen Menschen im Norden Amerikas. Da gab's keine Vorschriften, keine Obrigkeitshörigkeit. Es zählt nur die Freude an der Aufgabe. Mit dieser Erfahrung kam ich zurück in den Osten - und entdeckte Ähnliches." Röhner entwickelt das "Westwerk" in der Karl-Heine-Straße zum Ort für Kreative. Nun gibt er den Gebäuden der Alten Handelsschule in der Gießerstraße eine Zukunft.
Ingrid Hildebrandt

Beide Artikel sind erschienen in der Leipziger Volkszeitung vom 18. Mai 2012, Beilage „Stadtleben Süd“


Nachricht vom 21.05.2012
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