Ausführlicher Rückblick auf „westwärts – leipzig.liest.im.leipziger.westen“ am 14. März

27.03.2015

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Mohamed Ibrahim erzählte die selbst illustrierte Geschichte von „zwei kleinen kleinen Geschwistern“
 

In diesem Jahr beteiligten sich erneut zahlreiche Läden, Vereine und Iniativen entlang der Georg-Schwarz-Straße an der Lesereihe "Leipzig liest". Als eigentlicher Buchmessetag in der Magistrale wurde wieder der Samstag ausgewählt, an dem 17 Lesungen stattfanden. Aus organisatorischen Gründen fanden in diesem Jahr bereits am Freitagabend drei Lesungen in der Georg-Schwarz-Straße statt. Neue potentielle Leseorte kamen dazu, bereits bekannte Leseorte entschieden sich teilweise, selbst Lesungen zu organisieren. So wurde dieses Jahr erstmals die Anzahl der von der Buchmesse organisierten Lesungen durch selbstinitierte Lesungen übertroffen.

Der Lese-Sonnabend begann um 14:00 Uhr in den liebevoll hergerichteten Räumen des „Wollzirkels“. Dort hatten sich auf 18 Quadratmetern insgesamt 13 Erwachsene und 13 Kinder versammelt. Platz fand sich auf Teppichen, Kisten, Kissen, Treppchen und Stühlen. Kristin Häuser, die Betreiberin des Ladentreffs, begrüßte kurz das Publikum und schon ging es los. Da es sich um ein illustriertes Kinderbuch handelte, wurden die Bilder mit einem Beamer an die Wand projiziert und zwischen Autorin und den anwesenden Kindern entspann sich ein Frage- und Antwortspiel um Geschehnisse im Buch. Die Kinder waren mit Feuereifer dabei, suchten Antworten, suchten Ida und wurden nach Abschluß der Lesung mit einem Gürkchen belohnt.

Wie auch schon im „Wollzirkel“ zog ein illustriertes Kinderbuch viele Besucher in das neu eröffnete Ladengeschäft des "gemeinsam grün" e.V. in der Merseburger Str. 102. Mit 28 zu 9 waren die Erwachsenen klar in der Überzahl, aber die Geschichte von „Gudrun, dem einbeinigen Huhn“ zog auch sie in den Bann und über die witzigen Zeichnungen konnten alle Altersklassen herzlich lachen. Das Buch ist übrigens noch nicht verlegt, eine demnächst startende Crowdfunding-Kampagne soll ändern. Nach der kurzweiligen Lesung kam es noch zu einer angeregten Diskussion zwischen den Anwesenden zum Thema Inklusion.

Albert Wendt konnte es kaum erwarten, die Kinder und Eltern, die es sich auf Stühlen vor dem großen Lesetisch bei "Tüpfelhausen" bequem gemacht hatten, mit in seine Geschichtenwelt zu nehmen. Schon zehn Minuten vor dem eigentlichen Beginn um 15:00 Uhr begann er zu erzählen. Am Anfang stellte er die Figuren seiner Geschichte vor, allen voran natürlich seine Heldin Tine Pelerine. Albert Wendt erzählte dem Publikum mit lebhafter Miene und sehr gestenreich die Geschichte von seiner kleinen Heldin. Sein Buch benötigte er dafür kaum, so gut war ihm seine Erzählung bekannt. Auch wenn das Buch eigentlich für Kinder ab 8 Jahre vorgesehen war, fanden sich unter den 35 BesucherInnen auch einige jüngere Kinder, die aber ihre Eltern zur Verstärkung mitgebracht hatten. Für Tine Pelerine ging die ganze Sache übrigens gut aus und auch die Erwachsenen und Kinder hatten einen schönen Nachmittag bei der spannenden Geschichte.

Das vierte Kinderbuch wurde wiederum im „Wollzirkel“ vorgestellt. Mohamed Ibrahim erzählte die selbst illustrierte Geschichte von „zwei kleinen kleinen Geschwistern“ und 10 Kinder und 13 Erwachsene lauschten. Das Buch wurde erst auf Deutsch vorgelesen und auf Wunsch mehrerer Zuhörer dann auch noch einmal auf Arabisch mit Simultanübersetzung durch den fünfjährigen Adam. Zwischendurch hatten auch die anderen Kinder viele Gelegenheiten, die Geschichte mit ihren Erfahrungen abzugleichen und allen zu erzählen, ob sie sich mit ihren Geschwistern und Freunden auch so gut verstehen wie in dem Buch.

Sigrid Müller kredenzte im Laden "stoff-kreationen" Kaffee und Kuchen, während das Publikum zusammen mit Marie Bostwick die „Fäden des Schicksal“ entwirren suchte. Die Handarbeit nimmt im Buch einen großen Teil der Erzählung ein, die in einem amerikanischen Quiltladen angesiedelt ist. Auch die altersmäßig gemischten Zuhörerinnen legten bei der Lesung nicht die Hände in den Schoß, sondern häkelten was das Zeug hielt. Nach Ende der Lesung entspannen sich noch diverse Gespräche über Handarbeiten und Techniken, die letzten verließen den Laden sehr zufrieden erst nach zweieinhalb Stunden mit dem Wunsch nach einer Wiederholung der Veranstaltung.

32 Krimi- und/oder Norwegen-Fans versammelten sich in der Kanzlei des Rechtsanwaltes Thomas Plaschil. Hier stellte Rainer Doh seinen eiskalten Thriller über einen mysteriösen Mord an Bord eines Kreuzfahrtschiffes auf der traditionellen norwegischen Postschifflinie Hurtigruten zum „Mordkap“ vor und nicht nur die Zuhörer im gleichen fortgeschrittenen Alter wie die Mitreisenden waren begeistert.

26 Interessierte fanden den Weg zum Stadtteilladen Leutzsch, in den der Bürgerverein zu zwei Lesungen eingeladen hatte. Ralf Kramp, Verlagsleiter des KBV-Verlags und Autor von über einem Dutzend Krimibüchern las mit verstellter Stimme, erweckte seine Figuren zum Leben und wusste genau, wie Pointen auch stimmlich zu setzen sind. Das Publikum genoss die schwarzhumorigen Geschichten und Gedichte sehr. Einen Hausdrachen von der allerfeinsten Sorte ließ Markus Niebios in seinem Erstlingsbuch "Kopflos im Kofferraum" mit Frau Zenker auf die Gäste und vor allem auf seine Romanhelden los. Das Publikum applaudierte nach eineinhalb Stunden Lesung freudig und beide Autoren konnten auch einige Bücher unter die Leute bringen.

Der bekannte US-amerikanische Ethnologe und Autor David Graeber war natürlich nicht persönlich da, um in seinem Buch „Schulden. Die ersten 5.000 Jahre“ vorzulesen. Bei der Autodidaktischen Initiative übernahmen dies zwei Mitstreiter von attac, die zunächst ein Interview mit Graeber in verteilten Rollen vorlasen, womit ganz nebenbei das Kunststück gelang, prägnant in die Gedankenwelt des Autors einzuführen. 28 Besucher lauschten aufmerksam den Ausführungen Graebers zu den moralischen Grundlagen ökonomischer Beziehungen, um dann nach der Lesung der Umgebung entsprechend ausführlich miteinander zu diskutieren.

Handfester wurde es unterdessen im „Laden 64“, dem „Atelier f.“ von Regina Flieger. Die russische Malerin und Graphikerin Marina Lioubaskina präsentierte „radikal subjektive erotische Prosa“ aus ihrem ersten Buch. Die auf von ihr selbst gestaltenen großformatigen Blättern abgedruckte Episoden aus dem Liebesleben eines "weiblichen Casanovas" in Russland und Deutschland erhielten die 23 Zuhörer als Erinnerung an diesen Nachmittag.

Die Schätze, die Dietrich Oltmanns um 1990 auf Farbfilmen vor dem Vergessen gerettet hat, existieren heute oftmals nicht mehr. Denn etliche der Gärten wurden mittlerweile eingeebnet, die Flächen verwilderten oder wichen Neubauten - Ende der temporären Ret-
tungsinseln im Alltag. Der Autoren-Fotograf ahnte das wohl bereits damals schon, als er seine ersten Farbfilm-Versuche startete. Den Schatz der abbildenden Erinnerungen fasste Oltmanns aber erst 2013 in einem Fotobändchen "Arche bauen - Lauben und Gärten in Leipzig um 1990" zusammen, als er seine Leipziger Fotosammlung durchforstete. Dieses stellte er in den Räumlichkeiten von "gemeinsam grün" vor und diskutierte anschließend angeregt und lange Zeit mit den sehr interessierten Zuhörern. Etliche Zuhörer nannten nach der Lesung übrigens auch handsignierte Exemplare ihr eigen.

Der slowakische Schriftsteller Pavol Rankov und seine Übersetzerin Ines Sebesta nahmen unterdessen auf dem Sofa von Anna Hopperdietz Platz. Ihr Modeladen „Hilde tanzt“ konnte die 32 Besucher, darunter auch der Honorarkonsul für die Slowakische Republik in Leipzig Dr. Albrecht Tintelnot und seine Frau, kaum fassen. Aus dem Buch, aber auch den begleitendem Interview des Autors ergaben sich viele Einblicke in die Geschichte des ostmitteleuropäischen Landes in den dreißig Jahre zwischen 1938 und 1968.

Im Sanitätshaus Schürmaier hatten sich 20 Zuhörer zwischen 30 und 70 Jahren zusammengefunden, um mehr über die heilende Wirkung von Büchern zu erfahren. Die Autorin Andrea Gerk, die abwechselnd las und interviewt wurde, beschrieb ihren Weg zu diesem etwas außergewöhnlichen Thema, welches man mittlerweile in einer Ausbildung vertiefen kann. Der Bibliotherapeut ist dabei in Skandinavien, den USA und GB bedeutend bekannter, in Deutschland steht diese Therapie erst an ihrem Anfang.

Einen regelrechten Besucheransturm erlebte das Central-Antiquariat W33 und war mit über 70 Zuhörern, die sich teilweise geduldig in die allertiefsten Ladenwinkel drückten, Publikumsmagnet Nr. 1 bei "westwärts". Wie auch schon im letzten Jahr begeisterte sich das Publikum am meisten über den morbiden Charme vergangener Pracht. Auch vor dem Antiquariat standen potentielle Zuhörer, die aufgrund der an die Wand projizierten Bilder zumindest in den Genuß des Sehens, wenn schon nicht des Zuhörens kamen. Auf alle Fälle war diese Veranstaltung ein gelungenes Willkommensgeschenk des frisch eröffneten Antiquariats.

Zur gleichen Zeit hatten sich im Cafe Kaputt um die 50 Zuschauer versammelt, um Marcel Raabe noch einmal nach Kairo zu begleiten. Aus seinem Reportagebuch las er und widmete sich dabei - passend zum Ort - v.a. auch den Ausführungen über den entstehenden Zivilisationsmüll und den Umgang in Ägypten damit.

Mit Gerhard Poetzsch las um 20 Uhr in der Hausmark Schänke ein Lindenauer Urgestein aus seinem Buch „Taschentuchdiele“. Dieselbe - auch bekannt als „Gute Quelle“ in der GSS 17 - war in seiner Jugend die Stammkneipe vieler Anwohner. Tagsüber versorgte sie die Menschen mit günstigen Tagesgerichten, abends wurde sie zu einem Refugium der Lindenauer Männerwelt. Die Familie des Autors lebte bereits in der dritten Generation in der Gegend, sein Großvater war einer der ersten Jahrgänge an der Uhlandschule. Viel Ortskolorit gab es bei dieser Lesung zu erfahren, leider hatten diese Möglichkeit nur 10 Zuhörer genutzt.

Den Themen Heimat, Verfolgung, Flucht und Kampf widmete sich zur gleichen Zeit die in Österreich aufgewachsene und nun in London lebende jüdische Autorin Schulamit Meixner in den Räumen des Vereins Pandechaion-Herberge e.V., der in der Georg-Schwarz-Straße 31 eine Unterkunft für etwa 35 Asylbewerber betreibt. In ihren einführenden Worten wies Ina Lackert, die, bevor sie die soziale Betreuung hier übernahm, wiederum selbst zwölf Jahre in Israel gelebt hatte, auf die vielfältigen inhaltlichen Bezüge zwischen dem Buch und dem Leseort hin. Unter den 18 Gästen waren auch Bewohner des Hauses und eine von ihnen begleitete die Lesung musikalisch auf der Flöte.

Soviel für 2015, wir freuen uns auf die Buchmesse 2016!


Nachricht vom 27.03.2015
Autor: Roman Grabolle