Wohnformen in Leipzig: Wie junge Familien und Studenten auf neuen Wegen zu Eigentum kommen

19.10.2012

Bildinhalt: Wohnformen in Leipzig: Wie junge Familien und Studenten auf neuen Wegen zu Eigentum kommen | David Kreuer, Anselm Schelcher, Lisa Marie Wolf, Marie-Eve Cosin (von links)  / Foto: Chr. Nitsche
David Kreuer, Anselm Schelcher, Lisa Marie Wolf, Marie-Eve Cosin (von links) / Foto: Chr. Nitsche
 

Mit 22 Jahren schon eigene vier Wände

Kollektivhaus statt Eigentumswohnung: Immer mehr junge Leipziger gründen Gemeinschaftshäuser, 20 Projekte gibt es schon in der Stadt.
Lisa Wolf schüttet den Eimer mit dem Gemisch aus alten Steinen und Mörtel in die Schuttrutsche. Es rumpelt, dann tritt eine Staubwolke am unteren Ende aus. Wie ein Film hat sich eine feine Schicht Sand über den Innenhof der Naumburger Straße 5 gelegt, überzieht Baugeräte, Bäume und Fahrräder. Nächster Eimer, noch mal rumpelt es, die nächste Staubwolke erhebt sich, so geht das hier den ganzen Tag. Eine Hauserneuerung ist dreckige Arbeit, doch Wolf macht das nichts aus. Für die eigenen vier Wände stürzt sich die 22-jährige Studentin gerne in den Schmutz.
Hier in der Naumburger Straße entsteht auf 600 Quadratmetern ein Hausprojekt, auch Kollektivhaus genannt. Sieben junge Menschen haben sich zusammengeschlossen und den Altbau gemeinsam gekauft. Von der Partie sind neben Lisa Wolf eine Heilpädagogin, ein Doktorand, ein Ingenieur, eine Zahntechnikerin, ein Islamwissenschaftler und eine Fremdsprachenübersetzerin. Die Instandsetzung läuft seit diesem Sommer, in eineinhalb Jahren sollen die Wohnungen bezugsfertig sein.
Im Leipziger Westen gibt es einen kleinen Boom solcher Projekte: Etwa 20 Vorhaben sind in den vergangenen sechs Jahren entstanden, von Jahr zu Jahr kommen weitere hinzu. Inzwischen schwappt die Bewegung in den Leipziger Osten, wo mit dem Pögehaus, dem KlausHaus und WohnSinnOst neue Projekte gestartet wurden. Man darf die Vorhaben nicht mit den Wächterhäusern verwechseln: Statt vorübergehenden Zwischennutzungen wollen die Kollektivhäuser durch den Kauf langfristig günstige Wohn- und Arbeitsräume bieten. Im Unterschied zu gewöhnlichen Baugemeinschaften werden die Mitglieder der Hausgruppen später nicht zu Einzeleigentümern ihrer Wohnungen. Stattdessen wird die komplette Immobilie kollektives Eigentum der Hausgemeinschaft.
Kollektiveigentum klingt kompliziert. Doch die Gruppe in der Naumburger Straße hat ein altbekanntes und bewährtes Modell gewählt: Die sieben Leute gründeten eine Genossenschaft. Rund 75000 Euro haben sie bezahlt - für das Haus, Maklergebühren, Grunderwerbssteuer und ähnliches. Die Instandsetzung wird noch einmal mit rund 330000 Euro zu Buche schlagen.
Dafür haben die Genossen eigene Ersparnisse mobilisiert und Geld von Familien und Freunden geliehen. Der Großteil der Finanzierung wird durch einen Bankkredit gedeckt. Zudem gibt es Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), weil das Haus energetisch saniert wird. Die Gruppe ist bei den Arbeiten nicht auf sich gestellt, sondern wird von einem Architekten und professionellen Handwerkern begleitet. Die Kosten sollen über die Miete wieder eingenommen werden. Rund 4,50 Euro pro Quadratmeter wird ein Zimmer kosten. Neben den Gründungsgenossen ist noch Platz für weitere Mitbewohner, die Genossenschaftsmitglieder werden können, es aber nicht müssen.
Wie kam es zum Boom bei den Gemeinschaftshäusern? Roman Grabolle hat einen guten Überblick über die Projekte, wohnt selbst in einem benachbarten Kollektivhaus und ist bei der Wohnungsgesellschaft "Central LS W33" aktiv. Hinter der verbirgt sich ein Projekt, das drei Häuser umfasst: die Georg-Schwarz-Straße 11 sowie die Merseburger Straße 102 und 104. "Die ersten Hausprojekte haben anderen gezeigt: Schaut, es ist möglich, gemeinsam ein Haus zu kaufen oder zu pachten und instand zu setzen." Das mache Mut.
Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen Altbauten für Spottpreise die Besitzer wechselten. Doch immer noch gibt es erschwingliche Objekte in Leipzig. "Es gibt ein vielfältiges, buntes Leben in der Stadt und eine Aufbruchstimmung gerade unter jungen Menschen. Deshalb wollen viele Leute gerne hier bleiben." Gemein ist allen Kollektivhäusern, dass künftige Mieten nur der Finanzierung des Erwerbs und dem Unterhalt dienen - nicht dem Profit eines Vermieters.
Dadurch, dass es inzwischen eine ganze Landschaft dieser Hausprojekte gibt, ist eine Szene entstanden. Die Aktiven treffen sich regelmäßig bei Kulturveranstaltungen, die oft in den Häusern selbst stattfinden. Sie unterstützen sich gegenseitig mit Ratschlägen zu rechtlichen Fragen sowie mit Werkzeug und Baumaschinen. "Es hilft enorm, wenn man Leute kennt, die ein Problem auch schon mal hatten und es gelöst haben", sagt Grabolle. Es gibt regelmäßige Vernetzungstreffen und einen E-Mail-Verteiler für aktuelle Informationen.
Eine Besonderheit der Hausprojekte ist das junge Alter der Aktiven. Mit 22 Jahren ist Lisa Wolf in der Naumburger Straße 5 zwar die jüngste. Älter als 35 ist hier aber niemand. "Viele Familien mit kleinen Kindern schrecken noch oft vor Hausprojekten zurück, weil die kollektive Struktur verlangt, dass man viel Zeit dafür mitbringt, sich mit den anderen abzustimmen", erzählt Grabolle. Dennoch ist es bemerkenswert, dass sich die Studentin Wolf in jungen Jahren ein Haus ans Bein bindet. Denn wer weiß, wie die Zukunft aussehen wird? Die 22-Jährige sieht das sehr entspannt. "Natürlich kann es gut sein, dass ich bald woanders weiter studiere und arbeite", sagt sie. Aber weil das Haus aber im Eigentum der Gruppe sei, könne Verantwortung an Nachfolger abgegeben werden. Das selbstbestimmte Wohnen und die vergleichsweise günstige Miete würden sicherstellen, dass sich immer wieder neue Mitstreiter fänden, da ist sie sich sicher.

Text von Clemens Haug

Leipziger Volkszeitung, vom 19.10.2012


Nachricht vom 19.10.2012
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