Wie übernachtet ein Wohnungsloser in Leutzsch?

07.09.2017

Bildinhalt: Wie übernachtet ein Wohnungsloser in Leutzsch? | Foto: Enrico Engelhardt
Foto: Enrico Engelhardt
 

Wie übernachtet ein Wohnungsloser in Leutzsch?

Am Mittwoch, den 06. 09. 2017, fand ein Nachmittag der offenen Tür in Leutzsch statt. Das Übernachtungshaus für wohnungslose Männer, in der Rückmarsdorfer Straße 7, und das Leipziger Integrationshaus in der Rückmarsdorfer Straße 5 gewährte interessierten Bürger_innen von 13:00 bis 17:00 Uhr Einblick in Räumlichkeiten und die darin geleistete Arbeit.

Bei Bratwurst vom Grillstand, Kaffee, Tee und großem Kuchenbuffet im Innenhof der „Rücke 7“ nutzten Anwohner_innen die Gelegenheit, mit Nutzern und Bewohnern der Einrichtungen sowie Fachleuten ins Gespräch zu kommen.

Trotz gelegentlicher Regenschauer nahmen über 100 Menschen am Tag der offenen Tür teil. Gastgeberin Evelin Balogh, die Leiterin des Sachgebietes Notunterbringung und des Integrations- und Übernachtungshauses für wohnungslose Männer, begrüßte jeden Gast persönlich [...]. Sie beantwortete Fragen zur Einrichtung und erklärte: „Wir haben alles rechtzeitig fertig bekommen. Der Fußbodenbelag im Fernsehraum ist neu und auch die Fenster sind in den letzten Tagen noch geputzt worden.“ Außerdem zeigte sie ihren persönlichen Lieblingsplatz im Haus. In einem Gang im Erdgeschoss hängt ein vergoldeter Bilderrahmen, um ein Stück alte Tapete. „Das hat sich hier so ergeben, als der Zigarettenautomat im Flur entfernt worden ist. Dahinter ist die alte Tapete, aus der Zeit als sich hier ein Altenheim im Gebäude befunden hat, sichtbar geworden. Die ist noch aus DDR-Zeiten. Ich finde es toll wie sowas all die Zeit überdauert hat.“

Im Innenhof zeigt eine liebevoll gestaltete Tafel anhand von Dokumenten die wechselvolle Geschichte des über 100-jährigen Gebäudes, das 1907 errichtet wurde und u. a. 1928 bis 1934 ein Mädchenheim beherbergte.

Bei mehreren Hausführungen erfuhren die Besucher_innen mehr über die heutige Nutzung und den Ablauf innerhalb des Hauses. Die pädagogische Mitarbeiterin, Frau Plänitz, beantwortete alle Fragen souverän und kenntnisreich. „Den typischen Obdachlosen von früher, den viele vor Augen haben, gibt es nicht mehr. Jetzt sind viele Bewohner 1980er oder 1990er Baujahr, wir haben mehr jüngere Bewohner als früher.“ Eine Unterkunft ist im Übernachtungshaus nicht gratis, sondern kostet 5 Euro pro Nacht. Für Männer, die ALGII oder Sozialhilfe beziehen, übernimmt der jeweilige Sozialhilfeträger die Überrnachtungskosten. Ganz mittellose Menschen können auch ohne Zahlung bis zum nächsten Werktag übernachten. Das Übernachtungshaus in Leutzsch ist für die meisten Wohnungslosen die erste Anlaufstelle und öffnet wochentags ab 16:00 Uhr.

Für 5 Euro Schlüsselpfand kann die Teeküche in der zweiten Etage genutzt werden, falls sich ein Bewohner etwas zum Abendbrot zubereiten möchte. Neben dem kostenlosen Angebot von gespendeten Lebensmitteln besteht die Möglichkeit, sich eine Bockwurst, Bulette oder Suppenterrine zu kaufen. Frühstück machen sich die Männer im Übernachtungshaus selbst. Ihre Lebensmittel bewahren sie in abschließbaren Kühlschrankfächern auf. Die Bewohner werden um 7:00 Uhr geweckt und bis 8:00 Uhr müssen sie das Haus verlassen. Am Wochenende und feiertags kann das Haus ganztags von ihnen genutzt werden. Werktags stehen während der Schließzeit Tagestreffs für sie zur Verfügung.

Alkohol oder Drogen aller Art sind verboten, auch geraucht werden darf im Haus nicht. Bevor die Unterbringung erfolgt, müssen alle Übernachtungsgäste ihre Taschen entleeren. Alkohol wird mit Einverständnis des Besitzers entschädigungslos entsorgt. Bei Drogenfunden werden die Männer für diese Nacht nicht aufgenommen, wenn sie sich nicht von den Rauschmitteln trennen wollen. Diese werden nämlich nicht vernichtet, sondern umgehend der Polizei übergeben. Zimmer gibt es im Übernachtungshaus für wohnungslose Männer in verschiedenen Ausführungen, von Einzel- bis Dreibettzimmer ist alles dabei. Für besondere Notfälle stehen zwei Fünfbettzimmer zur Verfügung. Zur Gemeinschaftsunterhaltung dienen ein Clubraum, der allerdings nur in Anwesenheit des Personals benutzt werden darf, und ein Fernsehraum, in dem die Männer wöchentlich bis Mitternacht Medienzugang haben.

Das Übernachtungshaus in Leutzsch, welches von der Stadt Leipzig unterhalten wird, ist ein Ort der Wohnungsnotfallhilfe und nicht auf Dauergäste ausgelegt. Es wird durch die Sozialarbeiterinnen vor Ort versucht, die Männer wieder in ein selbst geregeltes Leben zurückzuführen. „Länger als ein halbes Jahr, sollte sich niemand bei uns aufhalten. So lange wie nötig, so kurz wie möglich, lassen wir die Bewohner hier übernachten“, erzählte Frau Plänitz während der Führung.

Die Zimmer sind spartanisch eingerichtet, verfügen aber alle über Tisch, Stühle und Waschbecken. Im zweiten Stock gibt es Gemeinschaftsduschen. Für einen Euro pro Waschladung werden auch die Sachen der Männer im Haus gereinigt. Für größere Sachen gibt es einen Gepäckraum im Keller. Dort werden Sachen der Übernachtungsgäste bis zu einem Monat gelagert. Es kommt ab und zu auch einmal vor, dass Menschen ihre Sachen da lassen und nicht wieder abholen. Außerdem müssen sich alle Übernachtungsgäste in den ersten drei Tagen beim Gesundheitsamt vorstellen und sich auf Tuberkulose untersuchen lassen. Wer das nicht macht, darf bis zur Vorlage des Nachweises nicht mehr übernachten. Für Männer mit unsicherem Status gibt es ein separates Notzimmer im Eingangsbereich.

Pro Nacht nutzen derzeit 20 bis 30 Männer das Übernachtungshaus in Leutzsch. Sie werden von maximal 2 Personen betreut. Überwiegend sind es Frauen, die in der Betreuung arbeiten. Sie wissen sich durchzusetzen und zur Not hilft der Griff zum Telefonhörer und die Polizei ist schnell zur Stelle. Aber in der Regel läuft alles friedlich ab, denn die Bewohner sind froh, wenn sie im Haus eine Unterkunft haben und verspielen diese nicht leichtfertig.

Autor: Enrico Engelhardt


Nachricht vom 07.09.2017
Autor: S. Ruccius